Sofija Pavlenko
Noch letztes Jahr konnte ich bei der Frage, ob ich jemals Antisemitismus in Deutschland erlebt habe, immer eine klare Antwort geben: nein! Sowohl Jugendliche als auch Erwachsene in meinem Umfeld schienen mir immer sehr respektvoll und auch interessiert zu sein, wenn es um das Judentum oder den Holocaust ging. Diese Tatsache machte mich immer sehr glücklich und stolz, in einem Land aufwachsen zu dürfen, wo Pluralismus so gut funktioniert wie bislang in keinem anderen Land weltweit. Und auch wenn die neusten Ereignisse nicht „Bei uns in Bayern“ stattgefunden haben und ich mich in München noch immer sehr sicher, respektiert und gleichberechtigt fühle, war ich bei dem ein oder anderen Kommentar auf Facebook & Co doch sehr schockiert und würde jetzt gerne meine Meinung zum Echo- Skandal sowie den antisemitischen Übergriffen in Berlin äußern.
Kollegah und Farid Bang zählen zu den bekanntesten deutschen Rappern und das nicht zuletzt wegen ihrer provokanten Songtexte. „Mein Körper definierter als von Auschwitz- Insassen“ lautet die nun wohl umstrittenste Line der beiden Rapper aus dem im Dezember 2017 erschienenen Song „0815“. Und auch wenn die umstrittene Zeile in meinen Augen sehr geschmacklos ist, weil sie das Grauen im KZ Auschwitz-Birkenau ins Lächerliche zieht, ist sie meiner Meinung nach dennoch nicht antisemitisch, da es im Battle-Rap, egal ob in Deutschland oder anderen Ländern wie den USA, üblich ist provokante Vergleiche zu ziehen, um zu polarisieren. Schon immer wurden im Deutschrap verschiedenste Menschengruppen verbal beleidigt, was selbstverständlich nicht gut ist und schon gar nicht etwas dazu beiträgt, dass unsere Gesellschaft toleranter und offener wird. Dennoch finde ich aber, dass Sprüche, die oftmals auch frauen- oder islamfeindliche Inhalte haben oder gewaltverherrlichend sind, NICHT skandalös sind, da diese Sprüche von Menschen, die diese Musik hören, mit sehr viel Humor genommen werden und darum keine Auswirkung auf das reale Zusammenleben in Deutschland haben. Obwohl also auch diese Line aus „0815“ meiner Ansicht nach im Rahmen der künstlerischen Freiheit liegt und für den Battle-Rap sehr typisch ist, gibt es bei der ganzen Sache ein gewaltiges Problem: die Echoverleihung 2018. Bei der diesjährigen Preisverleihung erhielten Kollegah und Farid Bang nämlich den Echo in der Kategorie Hip-Hop/Urban National. So akzeptabel ich die kontroverse Line finde, bin ich der Ansicht, dass ein so geschmackloser Spruch nicht mit dem wichtigsten deutschen Musikpreis belohnt werden sollte. Die wahren Schuldigen sind also diejenigen, die entschieden haben, wer den Preis erhält. So viel Aufmerksamkeit haben Kollegah und Farid Bang wohl noch nie bekommen und werden aufgrund dieses Skandals leider auch langfristig in unseren Köpfen bleiben.
Weitaus schlimmer als der diesjährige Echo, scheint mir der reale antisemitische Übergriff zu sein, der sich dieses Jahr in Berlin ereignete. Hierbei wurde ein junger arabischer Israeli, der öffentlich eine Kippa trug, körperlich angegriffen und beleidigt. Vorfälle wie dieser gehören meiner Meinung nach nicht ins 21. Jahrhundert und nicht in ein Land wie Deutschland, das in so vielen Hinsichten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und heute von Vielfalt und Frieden geprägt ist.
Was also tun, wenn antisemitische oder andere rassistische Anfeindungen immer weiter zunehmen? Battle-Rap verbieten? Juden und Nichtjuden voneinander trennen? Nein! Die Aktion „Berlin trägt Kippa“ ist in meinen Augen ein sehr schönes Symbol dafür, dass viele Menschen in Deutschland Werte wie Hilfsbereitschaft und Toleranz leben. Die einzige langfristige Lösung für dieses Problem wäre jedoch eine direkte Konfrontation der verschiedenen Parteien, durch die es hoffentlich zu einem friedlichen Austausch kommen würde. Wahre Toleranz und Respekt können nämlich niemals durch Verbote, Schweigen und Isolation erreicht werden, sondern nur durch Weiterbildung, Offenheit und Interesse für das Gegenüber. Dass dieser Lösungsansatz nicht unrealistisch ist, zeigt beispielsweise das Münchner Projekt YouthBridge, bei dem über 30 Jugendliche aus verschiedenen Herkunftsländern, mit verschiedenen Religionen und Kulturen monatlich aufeinander treffen und sich offen über Themen wie gutes Zusammenleben unterhalten. Das ist ihre Meinung dazu:
David (19): Die ganze Debatte um den Echo 2018 finde ich absolut überzogen, weil ich das Gefühl habe, dass das an erster Stelle dafür genutzt wird, den Rap in Deutschland mal wieder in den Dreck zu ziehen oder eigene Promoarbeit zu machen (z.B. Campino-Statement beim Echo). Würde es bei der Debatte wirklich um Antisemitismus gehen, könnte man sich auf ganz andere Dinge stürzen als auf eine Line von Farid (für die er sich außerdem bereits öffentlich entschuldigt hat).
Kheder (17): Ich finde, die Rap-Lines die heute jeder Rapper von sich gibt, dienen nur zur Provokation. Sie zeigen nicht die wahre Meinung der Rapper. Die Zeile von Farid, die von vielen als antisemitisch angesehen wird, zeigt meiner Meinung nach nicht seine wahre Absicht. Davon abgesehen, dass die Zeile wenig Sinn ergibt, hat Farid, wie ich finde, die Zeile nur zur Provokation genutzt und er wollte durch diese Provokation vor allem die Jugendlichen ansprechen.
Ege (20): Viele sind der Meinung, dass es übertrieben war, den Echo abzuschaffen. Diese Menschen vergessen jedoch dabei, wie sehr Deutschrap Jugendliche beeinflussen kann. Viele sehen Rapper wie Farid Bang und Kollegah als Vorbilder. Wenn man dann ein Lied mit einem Preis auszeichnet, das antisemitische Sprüche beinhaltet, sendet man dem Publikum ein falsches Zeichen. Eventuell denken sich dann manche, dass es moralisch in Ordnung ist, so etwas zu sagen. Andererseits hat sich Farid Bang auch schon für die Line entschuldigt. Die Entschuldigung wäre aber nicht gekommen, wenn es keine Proteste gegeben hätte. Insofern ist es vielleicht etwas übertrieben, den Preis abzuschaffen. Dies ist jedoch trotzdem ein richtiges Statement gegen Antisemitismus.
Alina (20): Wenn Deutschrapper wie Kollegah oder Farid Bang Frauen, Dunkelhäutige oder Homosexuelle beleidigen, wird ihnen auch nicht vorgeworfen, sexistisch, rassistisch oder homophob zu sein. Wieso sollte man das also tun, wenn sie in einem ihrer Lieder eine Line veröffentlichen, die den Holocaust respektlos behandelt? Klar finde ich, dass die Line geschmacklos ist. Und dennoch würde ich, obwohl ich selbst jüdisch bin, nicht behaupten, dass die beiden Antisemiten sind, sondern lediglich provozieren wollten, um mehr Aufmerksamkeit zu erregen.
Silas (20):
1. Die Debatte ist komplett aus dem Kontext gerissen.
2. Die Line ist geschmacklos, aber nicht antisemitisch.
3. Farid hat sich längst für seine Äußerung entschuldigt, was die Debatte ziemlich scheinheilig macht.
Mathis (17): „Berlin trägt Kippa“ erscheint mir eine schöne Antwort auf ein Verbrechen, das erschreckte. Es bleibt wichtig, immer wieder aufs Neue zu zeigen, dass die Menschen in Deutschland keine solchen Verbrechen akzeptieren. Es muss einer Gesellschaft bewusst sein, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Gewalt und Hass nicht geduldet werden. Diese Gewalt könnte sonst schnell zu etwas werden, „was eben passiert“, „womit man einfach leben muss“. Man muss nicht damit leben! Man sollte überhaupt nicht damit leben können.
Foto: Katya Ponomarenko